▸ Wenn ein als Tragwerk dienender Baum stirbt, beginnt das Problem. Der Baumpfleger sagt:  „Weg damit.“ Leichter gesagt als getan. Denn das ist mit Aufwand verbunden, manchmal fehlen geeignete alternative Bäume. Wenn der gesamte Wald stirbt, ist dieser Strategie ein Ende gesetzt. Aber ist es überhaupt notwendig, abgestorbene Bäume zu entfernen? Kann man sie vielleicht weiterverwenden? Wenn ja, wie lange? Was ist zu tun? Dieser Artikel gibt ein paar Antworten.

Mast oder abgestorbener Baum?

Vom Baum zum Mast

Einige Hochseilgärten sind auf Masten gebaut. Was ist der Unterschied zwischen einem abgestorbenen Baum und einem Mast? Ich meine – keiner. Ein Mast ist ein abgestorbener, entrindeter Baum, der aufgestellt und abgespannt wird. Die Frage ist nur: Wie macht man aus einem toten Baum einen „gesunden“ Mast? Wie kann man sicherstellen, dass er trotz möglicher Schädigung genügend Tragkraft hat?

Die SISKA – Sicherheitskreis Seilkletteranlagen – hat für die erste Frage eine Sicherheitswarnung veröffentlicht, die auf der Seite www.siska.at kostenlos heruntergeladen werden kann. Ich werde in diesem Artikel auch kurz darauf eingehen.

Mit der zweiten Frage beschäftigen wir (Daniel Atorf, Nina Geroldinger, Dominik Preuner, Clemens Tirler und ich) uns als SIG – Siebert Inspection Group –und forschen intensiv an diesem Thema. Hier stellen wir einige unserer aktuellen Forschungsergebnisse und Überlegungen vor.

Richtige Behandlung von abgestorbenen Bäumen

Lernen aus spektakulären Unfällen mit abgestorbenen Bäumen

Mir persönlich sind 6 Unfälle bekannt, die nur mit sehr viel Glück glimpflich (mit Knochenbrüchen) ausgegangen sind. Man muss sich nur vorstellen: drei Personen sind in 8 m Höhe, als der abgestorbene Tragbaum abbricht und die drei Personen abstürzen. Das Gewirr aus Elementen und Drahtseilen bleibt mit samt den Personen noch über dem Boden hängen. Wir haben also eine reale Gefahr.

Aus den bisherigen Unfällen kann man folgendes Schema ableiten:

  • Sie sind frühestens 4 Jahre nach dem Absterben passiert.
  • Die abgebrochenen Bäume waren nicht oder unzureichend abgespannt.
  • Sie wurden nicht oder unzureichend inspiziert.
  • Meistens gibt es eine versteckte Faulstelle, unter der Plattform oder hinter einer Prallmatte.


Aus diesen Fällen kann man ableiten, wie man abgestorbene Bäume behandeln sollte:

  • Kappen („Abstempeln“) – der obere Teil muss weg, um Gewicht und Schwungmasse zu nehmen.
  • Unterlüftetes Dach anbringen – damit über die
  • Schnittfläche kein Wasser eindringt
  • Abspannen – nach spätestens 2 Jahren
  • Hinterlüften (Plattformen umbauen)
  • Entrinden – nach ca. 2 Jahren, wenn die Rinde leicht entfernbar ist.

Als Betreiber und Inspektor hat man die Aufgabe, die Standfestigkeit der Masten sicher zu stellen. Das Hauptaugenmerk muss dabei auf die richtige Abspannung und das Ausmaß der Verrottung/Fäulnis liegen.

Siehe www.siska.at  Sicherheitswarnung

Unser Forschungsprojekt:
Schwerpunkt Wurzel

Bäume werden vom Baumkontrollor oder -gutachter überprüft. Viele sehen jedoch abgestorbene Bäume nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich. Am Ende bleibt die Beurteilung des abgestorbenen Baumes unserer Meinung nach beim Inspektor, der die regelmäßig wiederkehrende Inspektion (Jahresinspektion) durchführt. Außer er fordert dafür einen anderen Experten an.

Der Inspektor / Der Experte muss dabei die Standfestigkeit von abgestorbenen Bäumen feststellen und diese für eine bestimmte Zeit freigeben (sollte 1 Jahr sein).

Unsere Forschungsfrage lautete daher: Kann man abgestorbene Bäume für mindestens ein Jahr freigeben? Wir wollen dazu praktikable Methoden entwickeln.

Ein abgestorbener Baum im Einsatz

Bestehende Erkenntnisse als Basis

Zusätzlich zum geballten Wissen in der SISKA sowie in der SIG, habe ich zahlreiche Zugversuche mit Holz, auch mit verrottetem Holz, in meinem Labor durchgeführt. Dazu benötigt man einiges an Kraft: Ein 0,5 m langes Stück kesseldruckimprägniertes Kiefernholz mit einem Durchmesser von 12 cm bricht z. B. erst bei 11 Tonnen Querbelastung! 

Ich habe schon Masten und abgestorbene Bäume umgerissen, die der Betreiber entfernen wollte. Daraus lernte ich einiges über das Bruchverhalten.

Die Erkenntnisse aus unseren Versuchen stimmen zuversichtlich. Solange die Verrottung nur teilweise besteht, sind Masten überraschend widerstandsfähig.

Zusätzlich haben wir uns die bestehende Literatur durchforstet und hier ein großes Dankeschön an Andreas Detter, der uns mit ein paar einschlägigen Masterarbeiten unterstützt hat. Ja, es gibt Zugversuche an abgestorbenen Bäumen, aber leider nicht an abgespannten.

Das ist leider eine schlechte Nachricht: Wir fanden keine für uns brauchbaren Erkenntnisse. Der Grund dafür liegt im essenziellen Unterschied zwischen abgespannten und nicht abgespannten Masten.

Wurzel: wichtig oder nicht?

Baumexperten sind es gewohnt, dem Wurzelwerk viel Aufmerksamkeit zu schenken. Allerdings ist in diesem Punkt der Unterschied zwischen einem abgespannten und freistehenden Baum enorm. Zweiterer wird nur durch seinen Wurzelstock gehalten.

Aus unseren Versuchen und Erfahrungen können wir schließen, dass der Wurzelstock eines abgespannten Baumes irrelevant ist. Es gibt keine Querkräfte. Auch bei hoher Belastung wirken die Kräfte ausschließlich vertikal.

Früher haben wir uns das bei temporären Anlagen oft zunutze gemacht und den Mast einfach auf den Boden gestellt. Ohne Fundament, lediglich nach 3 Seiten abgespannt. Und wir haben gut damit arbeiten können.

Unserer Meinung nach kann der Wurzelstock komplett vernachlässigt werden, da er nur Druck nach unten aushalten muss. Selbst wenn er schon komplett verrottet wäre, würde er bloß zusammenzusacken, was an den locker werdenden Abspannseilen erkennbar wäre.

Knapp vor dem Bruch gibt es eine deutliche Durchbiegung. Die untere Spitze steht labil auf einer senkrecht gestellten Kraftmessdose.

Laborversuche

Wir haben im Labor die Situation eines abgespannten Mastes mit einem Holzstab simuliert und dabei die Zugkräfte auf die Seile und die Druckkräfte auf den Stab gemessen.

Dabei war der Holzstab/Mast unten nicht fixiert, sondern lediglich auf das Messgerät bzw. auf die Unterlage gestellt.

Im Bild ist die Zugrichtung mit dem blauen Pfeil dargestellt. Rot ist die Position der Kraftmessdose auf Druck.

Knapp vor dem Bruch gibt es eine deutliche Durchbiegung. Die untere Spitze steht labil auf einer senkrecht gestellten Kraftmessdose.

Aus all diesen Versuchen geht hervor:

  • Es gibt unten keine Querkräfte.
  • Der Bruch kündigt sich durch eine deutliche Biegung an.

Technisch gesehen handelt es sich um eine so genannte Eulersche Knickbelastung.

Der Stab wird senkrecht von oben belastet und biegt sich durch. Dabei ist zu beachten, dass er sich nur im oberen Drittel durchbiegt, weil der Wurzelstock – solange er nicht verrottet ist – als Einspannung gilt. An der Spitze, wo die Stahlseile ansetzen, ist er sozusagen gelenkig befestigt.

Die entscheidende Frage ist: Welche vertikalen Druckkräfte halten Holzmasten aus?

Hier gibt zum Beispiel die ÖNorm E 4201 Auskunft, die sich auf (eingegrabene) Holzmasten im Freileitungsbau bezieht.

Diese Norm weist für unterschiedliche Dimensionen die seitlichen Kräfte und die Druckkräfte aus:

Ich nehme zwei Beispiele für Fichtenmasten heraus. Fichte hat schlechtere Werte als Kiefer, Lärche und Douglasie:

Ein Beispiel von einem festen Holz zum Vergleich: ein 15 m hoher Mast aus Lärche mit oben 24 cm Durchmesser hält 100 Tonnen! Wir sehen, das ist eine gewaltige Menge an Kraft. Diese Kraft muss größer sein als die Belastung, die im Seilgarten auftritt.

Was tritt im Seilgarten für eine Kraft auf?

Bei unseren Versuchen haben wir festgestellt, dass die Druckkraft in etwa der Kraft in der Abspannung entspricht.

In typischen Seilgärten tritt somit rechnerisch eine maximale Druckbelastung von ca. 2,5 to (25 kN) auf (Lastannahme 6 kN und Durchhang 8%, Abspannung 45 Grad)).

Das Gewicht kommt dazu. Damit haben wir mehr als die 12-fache Sicherheit. Die tatsächlichen Kräfte liegen aber dann noch deutlich darunter.

Wir haben also eine gewaltige Sicherheitsreserve – wenn die Abspannungen gut sind!

Feldversuche

Um zu verifizieren, bei welcher Kraft abgestorbene Bäume tatsächlich brechen, gingen wir in den Wald.

Allerdings sind wir davon ausgegangen, dass wir mit „normalem“ Gerät die notwendigen Kräfte auf einen 20 cm dicken Baum nicht aufbringen können und auch die Abspannseile müssten ziemlich dick sein. Ein 12 mm Stahlseil hat da viel zu wenig Kraft und selbst ein großer Traktor zieht keine 20 Tonnen.

Daher haben wir uns auf maximal 10 cm dicke Dürrlinge konzentriert. Wir nahmen auch solche mit möglichst schlechtem Wurzelstock. Teilweise haben wir auch einfach welche aufgestellt, die aufgrund kompletter Verrottung des Wurzelstocks umgefallen waren.

Unsere Bruchtests kombinierten wir mit Bohrwiderstandsmessungen, die bei der Einschätzung der Standfestigkeit wesentliche Daten liefern. Zusätzlich haben wir ein Fraktometer angeschafft, das die Druck- und Biegefestigkeit eines Bohrkernes in MPa angibt. Hier sei auch Herrn Alexander Bauhuis der Firma IML gedankt, der uns wertvolle Informationen gab.

Versuchsanordnung:

Der Baum wird in 3-5m Höhe entgegen der Zugrichtung abgespannt und dann mit einer Motorwinde so lange angezogen, bis er bricht.

Erkenntnisse

Die Bäume sind wie erwartet ca. 1 m über dem Boden gebrochen, außer sie haben wo anders eine Schadstelle gehabt.

  • Ein 10 cm dicker und 5 m hoher abgespannter Baum hat 3 Tonnen ausgehalten und wäre trotz schlechtem Wurzelstock sogar als Tragbaum geeignet gewesen.
  • Die Sicherheitsreserve ist bei guter Abspannung groß.
  • Bei Beobachtung der Durchbiegung während des Belastungstests kann man Schwachstellen erkennen. Außerdem zeigt beginnende Durchbiegung an, dass der Baum in die Überlast kommt. Jeder Baum hat sich deutlich sichtbar durchgebogen, bevor er brach.
  • Der Wurzelstock ist tatsächlich irrelevant.

Inspektion von abgestorbenen Bäumen

Die bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen stimmen uns sehr zuversichtlich. Wir haben uns nun zu folgender Vorgangsweise entschieden:

  • Todesjahr feststellen
  • Ist er gemäß SISKA behandelt? (gekappt, abgespannt, entrindet, hinterlüftet)
  • Visuelle Kontrolle (Auffälligkeiten wie Pilze und Spechthöhlen, Querrisse usw.)
  • Abkopfen
  • Bohrwiderstandsmessung & Fractometer

Wir messen im Zweifelsfall mit einem modernen digitalen Bohrwiderstandsmessgerät, das zusätzlich noch den Vortriebswiderstand anzeigt und daher aussagekräftiger ist. Wichtig sind auch Messungen in kritischen Zonen, wie unter (ehemaligen) Plattformen. Wir haben uns auch noch ein Fraktometer angeschafft, das die tatsächliche Biege- und vor allem Druckkraft von Bohrkernen in Megapascal angibt.

  • Gegebenenfalls Belastungstest, wenn Unsicherheit über die Standfestigkeit besteht.
Technische Illustration der neuesten Erkenntnisse

Wenn Unsicherheit über die Standfestigkeit besteht, machen wir einen Belastungstest. Dabei wird im Sicherungsseil in Sturz/Belastungsrichtung angezogen. Wir messen (derzeit) mit einer Kraft von maximal 6 kN, da bei größeren Kräften die Gefahr besteht, die Sicherungsebene zu beschädigen. Während des Ziehens muss man auf eventuelle Bruchgeräusche horchen. Zusätzlich wird gemessen, ob bzw. wie viel sich der Mast während des Ziehens durchbiegt, Eine eventuelle Durchbiegung zeigt an, dass der Baum sich seiner Bruchgrenze nähert. Wenn keine Durchbiegung erfolgt, gehen wir davon aus, dass ausreichend Sicherheitsreserve besteht.

Unser Fazit: Abgestorbene Bäume können mit der richtigen Behandlung noch Jahre nach dem Absterben im Einsatz sein. Es zahlt sich also aus, in die entsprechende Behandlung (entrinden, Plattform freilegen etc) zu investieren.

Offene Fragen und weitere Forschungsfragen:

Diese Fragen sind voneinander abhängig:

  • Gibt es Einflüsse, die den Baum/Mast innerhalb eines Jahres so schädigen, dass eine Prognose nicht möglich ist?
  • Wie stark muss die Lasteintragung beim
  • Belastungstest sein?
  • Welche Sicherheitsreserve brauchen wir?
  • Evaluierung des Belastungstests zur Überprüfung der Standfestigkeit. Wir haben schon eine Methode entwickelt, die wir im nächsten Jahr noch auf Praxistauglichkeit testen.

Eine Frage, bei der wir uneinig sind: Reicht eine Abspannung entgegen der Zugrichtung des Sicherungsseils oder sollten zwei Abspannungen im Winkel angebracht werden? Wir haben unsere Versuche (im Labor und im Wald) jeweils mit einer Abspannung gemacht. Allerdings wirken sich leichte Abweichungen deutlich aus: Es entstehen sofort Biegekräfte. Wenn also nicht gewährleistet ist, dass die Abspannung genau entgegen der Zugrichtung erfolgt, empfehlen wir zwei Abspannungen.

Was soll ich als Betreiber machen, wenn ein Baum stirbt?

  • NICHT umschneiden!
  • Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen
  • Todesjahr dokumentieren
  • SISKA Warnung lesen und entsprechende Maßnahmen setzen
  • Spezialisten holen, der den Baum erhalten möchte
  • Eventuell konservieren

Infos und Kontakt:

Walter Siebert

Ramperstorffergasse 37
A-1050 Wien
Tel.: +43 664 102 8487
Fax: +43 (1) 545 32 00 32
Email: office@siebert.at
www.siebert.at