Neues in der EN 15567:2015

Neues in der EN 15567:2015

Diese Analyse habe ich erstellt, so wie ich die Norm lese. Es kann sein, dass ich etwas falsch gelesen oder missverstanden habe. Deswegen finde ich eine Diskussion wichtig und lade dazu ein. Die Norm wird künftig die Branche bei Bau, Inspektion, Behörden und Gerichtsverfahren bestimmen. Einige Punkte sind mir unklar, ich habe eine entsprechende Anfrage an das DIN gerichtet. So ich diese Fragen klären konnte, werde ich die Antworten gerne weitergeben.

Zu Normen ist folgendes wichtig zu wissen. Als Gutachter werde ich regelmäßig vom Gericht gefragt, ob etwas der Norm entspricht. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass Normen wörtlich gelesen werden und nur dort Interpretationsspielraum ist, wo etwas offen gelassen wurde. Man könnte sogar formulieren: Die Worte werden auf die Waagschale gelegt. Vor diesem Hintergrund habe ich mir die Norm hergenommen und die Änderungen gesucht – dabei muss man Wort für Wort die Fassungen vergleichen, da die Normungsinstitute die Änderungen nicht bekanntgeben.

Von besonderer Tragweite ist es, wenn sich ein „Muss“ in ein „Sollte“ verändert. 

Die wichtigsten Formulierungen in einer Norm sind folgende: 

  • etwas „muss“ sein: eine unumgängliche Anforderung
  • etwas „sollte“ sein: eine Empfehlung, kein Muss
  • etwas „darf“ sein: eine Erlaubnis
  • etwas „kann“ sein: eine Möglichkeit

Mein persönlicher Kommentar: 

Diese Worte sind entscheidend. Wenn früher eine Erstinspektion durch eine Inspektionsstelle „Typ A“ gemäß ISO 17020 ein „Muss“ war und jetzt nur mehr eine Empfehlung, dann ist das eine massive Veränderung: Früher musste ein Seilgarten eine Erstinspek- tion durch eine solche Inspektionsstelle haben, um mit „normkonform“ werben zu können. Jetzt ist es keine Vorschrift mehr. Je nachdem wie man die Norm liest und interpretiert könnte man sogar meinen, es ist der Betrieb ohne jegliche Inspektion möglich. 

Die einzelnen Änderungen

Die folgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Einleitung der Norm

Risiko

In der Einleitung zur Norm wurde das Thema Risiko verändert.

Alt: „Diese Risiken sollten jedoch vom Betreiber des Seilgartens und seinem Personal entsprechend gesteuert und minimiert werden.“

Neu: „(…) entsprechend gesteuert und auf ein vertretbares Maß begrenzt werden.“

Mein persönlicher Kommentar:

Es macht einen Unterschied, ob ich etwas minimiere oder auf ein vertretbares Maß begrenze. Minimieren bedeutet, nach Möglichkeit auf Null reduzieren. Das „vertretbare Maß“ wird gesellschaftlich festgelegt (z.B. ist das vertretbare Maß der Verkehrsunfälle in Deutschland 3.000 Tote pro Jahr. Mit rigoroseren Maßnahmen, z.B. Autos, die nicht schneller als 90 km/h fahren, könnte diese Zahl deutlich verringert werden. Hier ist es nicht das Ziel, die Zahl zu minimieren.).

Sicherheit der Mitarbeiter

Verändert wurde, dass der Betreiber nicht nur die Sicherheit der Teilnehmer, sondern auch die der Mitarbeiter sicherstellen muss.

Kein Schutz vor vorsätzlichem Missbrauch

Hinzugekommen ist folgender Satz: „Es sollte beachtet werden, dass kein Sicherungssystem einen Schutz vor vorsätzlichem Missbrauch bereitstellen kann.“

2. Inspektionen

Die verpflichtende Erstinspektion

Die Beteiligung einer unabhängigen Inspektionsstelle ist keine Muss-Vorgabe mehr, sie wird nur mehr empfohlen: „Es wird empfohlen, dass vor Inbetriebnahme der Anlage eine Inspektionsstelle (siehe 3.43) des Typs A nach EN ISO/IEC 17020:2012, 4.1, zertifiziert, dass die Anlage den Anforderungen von EN 15567-1 entspricht.“

Mein persönlicher Kommentar:

Unklar ist, ob die Inspektion selbst ein „sollte“ ist oder nur die Inspektion durch eine „ISO-17020-Stelle.“ Denn im folgenden Satz steht:

„Folgendes muss durch eine Inspektionsstelle durchgeführt werden: (…)“ mit einigen durchzuführenden Punkten, darunter die zu begrüßende Funktionsprüfung in der Höhe. Der Usus, von unten den Seilgarten zu inspizieren („Ferndiagnose“) sollte dadurch vermieden werden.

Abgesehen davon kann nun jeder, der sich für sachkundig hält, den Seilgarten abnehmen. Er muss nicht mehr die ISO 17020 erfüllen, die die Inspektionsstellen regelt (z.B. das Qualitätsmanagementsystem, die Unabhängigkeit). Somit kann der Errichter oder der Betreiber selbst seinen Seilgarten erstinspizieren, wenn er sich für sachkundig hält. Das ist eine wesentliche Änderung gegenüber der alten Fassung, in der grundsätzlich das Vieraugenprinzip gefordert wurde – was ein wesentlicher Bestandteil von Sicherheitskonzepten ist.

Änderungsinspektion

Bei Änderungen an kritischen Anwendungen eines bestehenden Seilgartens, der bereits abgenommen wurde, muss (anders als bei der Erst- und Folgeinspektion) eine Inspektion durch eine Inspektionsstelle Typ A oder Typ C stattfinden. Allerdings entscheidet der Betreiber selbst, welche er möchte.

Mein persönlicher Kommentar:

Somit kann der Betreiber, wenn er selbst Typ C-Stelle ist, bei einem Zubau eines neuen Parcours bestimmen, dass er selbst die Erstabnahme machen kann.

Die regelmäßig wiederkehrende Inspektion

Diese ist wie die Erstinspektion formuliert und ebenfalls nicht mehr verpflichtend (muss), sondern nur mehr ein „sollte“: „Regelmäßig wiederkehrende Inspektionen sollten mindestens einmal jährlich und in einem Abstand von höchstens 15 Monaten durch eine Inspektionsstelle (Typ A, B oder C nach EN ISO/IEC 17020:2012, Anhang A) durchgeführt werden.“

Mein persönlicher Kommentar:

Der Anhang A betrifft den Baumkontrollbericht (formale Anforderungen). Warum hier auf ihn verwiesen wird, ist mir unklar.

Warum man es auch möglicherweise anders lesen kann, steht im nächsten Satz:

„Das Folgende muss durchgeführt werden: (…)“ Diesmal nicht einmal mehr durch eine Inspektionsstelle.

3. Die Sicherungssysteme

Diese Einteilung ist neu aufgenommen und berücksichtigt die verschiedenen Sicherungssysteme: Vom Schnappkarabiner, der in der Norm immer noch erlaubt ist (ziemlich einzigartig in sämtlichen PSA-Bestimmungen, bzw. bergsportlichen Lehrmeinungen) über die kommunizierenden Systeme bis zum Schienensystem.

Einteilung in neue Sicherungssystem-Stufen

Die Einzelsicherungssysteme werden in folgende 5 Stufen unterteilt:

A – selbstschließendes Sicherungsmittel (Beispiel: Schlingen mit Schnappkarabiner). Hier muss das Umhängen auf einer Plattform stattfinden.

B – Sicherung mit selbstverriegelnder Vorrichtung (Beispiel: Schlingen mit Twistlock-Karabiner oder Ballenkarabiner).

C – wechselseitig verriegelndes Sicherungsmittel zur Verminderung der Wahrscheinlichkeit eines unbeabsichtigten Lösens vom Sicherungssystem (Beispiel: kommunizierende Karabinersysteme, die man mit dem Finger öffnen kann)

D – wechselseitig verriegelndes Sicherungsmittel zur Verhinderung eines unbeabsichtigten Lösens vom Sicherungssystem (Beispiel: Kommunizierende Systeme, die man ohne Werkzeug nicht öffnen kann)

E – während des Betriebs dauerhaft befestigte Sicherung, welche nur mit einem Werkzeug geöffnet werden kann (Beispiel: Stahlseilsysteme ohne Umhängevorgang, Schienensysteme)

Je nach Sicherungsstufe gibt es altersabhängig Vorgaben, wie die Beaufsichtigung bei der Prüfstrecke, den ersten fünf Umhängvorgängen nach der Prüfstrecke sowie im restlichen Seilgarten ist.

Praktische Beurteilung

Wichtig ist, dass jeder Teilnehmer einer praktischen Beurteilung bzgl. der Handhabung der Technik und dem Umgang damit unterzogen werden muss. Diese fällt nur bei D und E weg, sofern der Teilnehmer sich nicht selbst ins Sicherungssystem verbindet.

„Beaufsichtigende Erwachsene“

Eingeschulte Erziehungsberechtigte können Personal unterstützen und Kinder beaufsichtigen. Sie müssen nicht mitklettern, es genügt, wenn sie beobachten und verbal eingreifen (Stufe 2).

„Person von 18 Jahren oder älter, die entweder ein Elternteil/Erziehungsberechtigter ist oder über eine Vollmacht von einem Elternteil/Erziehungsberechtigten (des) der Kinder oder jugendlichen Teilnehmer(s) verfügt, die ein ausreichendes Training absolviert hat, um das (die) Kind(er) oder (den) die jugendlichen Teilnehmer zu begleiten und die von ihrem Standort aus das (die) Kind(er) oder (den) die jugendlichen Teilnehmer sieht und verbal eingreifen kann.“

Mein persönlicher Kommentar:

Obwohl die Norm fordert, dass sie eingeschult werden müssen, besteht meiner Meinung nach die Gefahr der Überforderung. Tatsache ist, dass sie eine Komplettaushängung durch Stufe 2 nicht zuverlässig verhindern können, das wäre nur durch Stufe 1 möglich. Die Altersgrenzen bei den Stufen sind extrem niedrig. So kann ein sechsjähriges Kind in 10 Meter Höhe sich selbst umhängen, beobachtet von unten, und bei einer Komplettaushängung kann der Erziehungsberechtigte von unten hinaufrufen „Häng Dich wieder ein!“

Laut Norm können auch mehrere Kinder durch einen Erwachsenen so beaufsichtigt werden, also ein Lehrer könnte eine Volksschulklasse betreuen (wenn das die Gefahrenanalyse ermöglicht).

Ich denke es ist wichtig, dass Betreiber nicht verleitet werden, Personal zu sparen. Die Idee des beaufsichtigenden Erwachsenen sollte ein zusätzlicher Sicherheitsgewinn sein.

Bei Beaufsichtigung der Stufe 2 ist weggefallen, dass der Betreuer den Teilnehmer deutlich sehen können muss.

Mein persönlicher Kommentar:

Das war oft ein Anlass zu Diskussionen, wenn Blätter den Blick verstellen. Jetzt muss er Teilnehmer nur mehr sehen können.

4. Baumgutachten

Die Baumkontrolle durch einen Baumsachverständigen

In der alten Norm musste eine Baumkontrolle durch einen Baumsachverständigen vorgenommen werden. In der neuen Norm ist bei der Vorauswahl von keinem Baumsachverständigen die Rede. Es trifft der Konstrukteur die Vorauswahl, danach sollte ein Baumsachverständiger die Begutachtung machen (muss aber nicht).

Mein persönlicher Kommentar:

Hier muss man genau die Worte lesen: Es muss eine Beurteilung vorgenommen werden, wobei die Vorauswahl der Konstrukteur vornimmt. Diese Bäume sollten aber nur (müssen nicht) durch einen Baumsachverständigen begutachtet werden. Früher war das eine Muss-Bestimmung. Da Errichter und Betreiber ohnehin Kompetenz in der Beurteilung von Bäumen brauchen, ist diese Regelung nachvollziehbar.

Auch ist es nicht mehr verpflichtend, die Baumkontrolle vor Inbetriebnahme zu machen, das kann auch nachträglich erfolgen.

Es wird auch ein nicht definierter Begriff verwendet, nämlich der „Baumkontrolleur“. Ich sehe es so, dass damit verdeutlicht werden soll, dass die Kontrolle nicht durch einen Sachverständigen erfolgen muss. Baumkon- trolleur wäre in diesem Sinne z.B. ein Errichter, der die Baumkontrolle vornimmt.

Ermittlung der Festigkeit von Bäumen

Es ist auch Anhang B weggefallen, der die Ermittlung der Festigkeit von Bäumen festlegt.

5. Fangstellen wurden abgeschwächt

„(…) Öffnungen, die bei üblicher Nutzung erreicht werden können, (dürfen) keine verborgenen, gefährdenden Fangstellen bewirken.“ Der Begriff „verborgen“ ist neu.

Mein persönlicher Kommentar:

Das stellt eine deutliche Abschwächung gegenüber der alten Norm dar. Wenn gefährdende Fangstellen für den Nutzer sichtbar sind, sind sie nun zulässig. Früher waren Fangstellen, die in Griffweite sind, wo die Teilnehmer üblicherweise hingreifen, ein zu beseitigender Mangel. Jetzt gilt es laut Norm nur mehr zu überprüfen, ob die Fangstelle gut erkennbar ist (das sind die meisten) oder verborgen. Nur verborgene Fangstellen sind ein Mangel.

Neues in der EN 15567:2015

Walter Siebert (Teil 2, Oben #016)

 

Infos und Kontakt:

Walter Siebert

Erstinspektionen, Folgeinspektionen, Gutachten

Gerichtlich Zertifizierter Sachverständiger (Gutachter)

Unabhängige Inspektionsstelle

„Typ A“ gemäß EN ISO/IEC 17020:2012

Mitglied des SISKA (Sicherheitskreis Seilkletteranlagen),

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