2.3 Dauerschwingfestigkeit

Eine sehr spezielle Form der Schädigung sind so genannte Dauerschwingbrüche. Viele Materialien, vor allem Metalle, haben die Eigenschaft, bei zyklischen Belastungen deutlich unter der Bruchlast zu versagen: Belastung – Entlastung – Belastung – Entlastung usw. Bei einer Zipline bewirkt jede Person eine Belastung auf das Seil, die Seilendverbindung und den Fixpunkt.

Wenn ein Bauteil auf 60 kN Bruchlast dimensioniert ist, kann es sein, dass bei 30 kN das Bauteil bei einer hohen Anzahl Belastungen versagt. Das Zugunglück bei Eschede ist ein typisches Beispiel: Ein Radreifen hat einen Haarriss bekommen, der sich ausgebreitet hat und schließlich zum Bruch dieses Radreifens (=Auflagefläche eines Rades) führte. Dieser Radreifen war auf einer Gummiauflage (für besseren Komfort), allerdings führte das zu Verformungen bei jeder Radumdrehung. Aber nicht nur durch Biegen entstehen Haarrisse, auch bei Längsbelastung kann es zu Haarrissen und Versagen kommen.

Ein Ermüdungsbruch fängt klein an, wird aber bald sichtbar. Man muss aber genau schauen und wissen, wo

Bei der Dauerschwingfestigkeit gibt es noch ein Problem: Wenn das Bauteil zyklisch sehr stark in der Nähe der Bruchfestigkeit belastet wird, genügen wenige tausend Teilnehmer, und das Teil versagt. Man sollte daher zyklisch belastete Teile grundsätzlich nicht mehr als 40% der Bruchlast belasten.

2.4 Kombinationen

Alle Phänomene können auch kombiniert auftreten: Wenn eine Rolle über ein Stahlseil fährt, kommt es zu Abrieb, zu Dauerbiegung und Dauerschwingung (Zug in der Längsrichtung). Sobald ein Draht einen Riss bekommt, setzt auch noch Korrosion ein, die die Ausbreitung beschleunigt.

2.5 Stahlseile sterben langsam

Stahlseile versagen nur selten durch Überbelastung. Ich persönlich habe es nur ein Mal erlebt, als ein Bagger hineingefahren ist. Stahlseile halten in der Regel sogar hineinstürzenden Bäume aus. Von wem der Grundsatz „Stahlseile sterben langsam“ ist, weiß ich nicht, aber er stimmt. Es bricht zuerst ein Draht, dann mehrere, dann die ganze Litze, schließlich reichen die verbliebenen Litzen oder Drähte nicht mehr aus und es kommt zum Gewaltbruch. 

Drahtbrüche sind sichtbar, deswegen sind es Inspektionsversäumnisse, wenn ein Stahlseil versagt. Und hier sind wir wieder beim Problem: Wenn man davon ausgehen kann, dass Stahlseile – je nach Belastungsart – bei 5 bis sechsstelligen Zyklen versagen können, hängt es ausschließlich von den Besucherzahlen ab. Zeit spielt hier keine Rolle.

Hier liegt es am Hersteller (und an der Erstinspektionsstelle) auf Grund ihrer Erfahrungen diese kritische Teilnehmerzahl bekannt zu geben.

Unterdimensionierte Ringöse

2.6 Was stirbt dann schnell?

Ganz stimmt der obige Satz nicht, denn sobald bei einem Stahlseil so viele Drähte gebrochen sind, dass der Rest der Belastung nicht mehr standhält, kommt es zum plötzlichen (Rest-) Gewaltbruch. Das passiert dann ganz plötzlich. Wenn die Stelle, wo die Drahtbrüche auftreten, nicht sichtbar ist, bricht so ein Seil „unvorhergesehen“, überraschend, denn schließlich hat es ja jahrelang gehalten. So passiert vor Jahren, als ein Cowtail (Verbindung zwischen Ziplinerolle und Teilnehmer aus einem 10 mm Stahlseil, das eigentlich mehr als 5 Tonnen halten sollte, bei Körpergewicht brach. Die Schadstelle war durch Tape versteckt. 

Eigentlich hätte es seit damals keine derartigen Versagensfälle geben dürfen, aber leider spricht sich so etwas nicht herum. Vielleicht hilft ja dieser Artikel. 

Bauteile, die über ihre Bruchlast belastet werden, versagen plötzlich. In Seilgärten ist damit nicht zu rechnen, da die Teile ausreichend dimensioniert sind. Nur, wenn sie geschwächt werden, können sie versagen. Bei Haarrissen in Seilhaltern eines durchgehenden Sicherungssystems geht es ganz plötzlich, wenn man die Haarrisse übersieht. Dies dürfte bei einem Unfall mit einer Zipline über einen See passiert sein, wo die Seilaufhängung brach und der Teilnehmer ertrank. Es hatte offensichtlich niemand die Möglichkeit von Dauerschwingversagen am Schirm gehabt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Haarrisse erkennbar gewesen wären, ist sehr, sehr  hoch.

So etwas sollte man dann nicht mehr übersehen, ab jetzt kann es schnell gehen

3. Auswirkungen auf unsere Realität

Die Produzenten von Bauteilen müssen sich genauso Gedanken machen, wie die Hersteller von Sicherungssystemen, die Sicherheitsverantwortlichen (z.B. Parkmanager) ebenso wie die externen Inspektoren. Die Branche ist (verglichen mit z.B. Eisenbahnen) relativ jung, es gibt sehr rasche Entwicklungsschübe und wenig Erfahrungswerte. Dieser Artikel ist ein Plädoyer, dass alle Beteiligte näher zusammenarbeiten und die nötige Erfahrung sammeln. Aber schauen wir uns die einzelnen Funktionen an:

3.1 Produzenten von Seilgartenkomponenten

Ich glaube, dass die oben beschriebenen technischen Vorgänge zu wenig beachtet werden. Man erkennt es z.B. an den Normen, die nur einen einfachen Zugversuch für die statische Festigkeit fordern und keine Dauerversuche. Manche Bauteile sind klar erkennbar für Dauerfestigkeit unterdimensioniert, schlecht verarbeitet oder aus dem falschen Stahl. 

Mein Wunsch an die Entwickler, Designer und Produzenten von Bauteilen (z.B. Komponenten für Sicherungssysteme): Beschäftigt Euch intensiv mit dem Phänomen der Dauerfestigkeit und macht passende Versuche. Dauerschwingversuche sind zeitaufwändiger als einfache Zugversuche, aber dürften notwendig sein.

3.2 Errichter des Seilgartens

Wenn jemand einen Seilgarten baut, muss er die von den Produzenten erforschten Eigenschaften beachten. Wenn er ein Bauteil anders verbaut als vorgesehen, wird er sozusagen zum neuen Produzenten. Es kann sein, dass die bisherigen Versuche und Erfahrungswerte ausreichen, es kann aber sein, dass neue Versuche notwendig sind. Die kann dann der Produzent machen, oder aber der Errichter. Wenn er etwas einbaut, das zyklisch belastet wird (auch den Wind beachten!), muss er sich beim Hersteller versichern, dass das Teil dauerfest ist.

Typischer Ermüdungsbruch

 

Kerben, z.B. Gewinde, aber auch Rauigkeiten sind hervorragende Angriffspunkte für Haarrisse.

Sie breiten sich dann bei jeder Belastung (im mikroskopischen Bereich) aus.

Irgendwann ist zu wenig Restmaterial da: Es kommt zum Gewaltbruch. Das Bauteil bricht, der Teilnehmer stürzt

 

3.3 Park Manager

Parkmanagern kommt eine schwer zu definierende Rolle zu. Natürlich müssen sie vor allem die Vorgaben des Herstellers exekutieren, aber darüber hinaus könnten sie in ruhigen Minuten ihren Park betrachten und sich überlegen, wo die größte Abnützung auftritt. Das gehört zwar nicht zur Job Description, aber würde den Blick von Hersteller und Errichter erweitern. Oft zerlegen Park Manager Bauteile, weil sie sie austauschen. Dabei können sie diese Bauteile sehr genau inspizieren und könnten Abnützungszeichen oder Risse erkennen.

Liebe Parkmanager, bitte unterstützt die Hersteller durch Erfahrungen aus der Praxis!

3.4 Inspektoren

Inspektoren können den bestimmungsgemäßen Einbau der Bauteile überprüfen. Sie können wissen, ob die Wartungsanleitung der Realität entspricht. Sie kennen die Gründe für das Versagen von Bauteilen und können Stellen identifizieren, wo so etwas zu erwarten ist. Die große Chance von erfahrenen Inspektoren ist der breite Erfahrungsschatz. Sie kennen die unterschiedlichsten Sicherungssysteme und sie haben ein breites Wissen über die unterschiedlichsten Wartungsanleitungen – und wie gut sie für die Realität passen. Die große Chance ist, dass sich Inspektoren zu Gruppen zusammenschließen, wodurch sie ihren Erfahrungsschatz und ihr Wissen multiplizieren. Dies ist jedenfalls eine wünschenswerte Entwicklung.

3.5 Normengremien

Die Regeln in der Norm stammen aus einer Zeit, wo Seilgärten ein Jahrzehnt wartungsfrei waren. Das hat sich mit den touristischen Seilgärten geändert. In der Norm müssen daher die Zeitintervalle durch Zyklen ersetzt werden.

4. Zusammenfassung: 

15 Monate können zu lange sein. 3 Monate auch. Sogar einer.

Wir müssen umdenken: Zeit spielt in unserer Branche in den wenigsten Fällen eine Rolle. Selbst Rost oder Verrottung dauern sehr unterschiedlich lange. Zumeist sind es die Besucherzahlen, abhängig von der Anwendung. 

Die Produzenten sind gefordert, sich mit dem Dauerschwellverhalten ihrer Werkstoffe und Produkte zu beschäftigen. 

Die Hersteller von Systemen und Errichter von Seilgärten sind gefordert, die Wartungsintervalle umzuschreiben in Nutzungszyklen. 

Die Inspektoren sind gefordert, dies durch ihre Erfahrung auf Plausibilität zu überprüfen. 

Die Seilgartenbetreiber sind gefordert, dies einzufordern, und natürlich zu exekutieren.

Die Normenschreiber sind gefordert, diesen Punkt rasch zu ändern.

„Das „Wann“ hatte schon befürchtet, es würde völlig verschwinden. Doch dann hatte eine gute Fee eine Idee: „Wann“ und „Wie oft“ verliebten sich, heirateten und lebten als „Bis Wann“ glücklich bis ans Ende aller Tage.“

 

Infos und Kontakt:

Walter Siebert

Erstinspektionen, Folgeinspektionen , Gutachten

Gerichtlich Zertifizierter Sachverständiger (Gutachter)

Unabhängige Inspektionsstelle „Typ A“ gemäß EN ISO/IEC 17020:2012Hauptstr. 128

Ramperstorffergasse 37

A-1050 Wien 

Tel.: 043 664 102 8487 

Fax: 043 (1) 545 32 00 32

E-Mail: office@siebert.at 

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