Normen, Normen, Normen.  DIN SPEC, DIN, EN ISO. Kann ich, soll ich, muss ich Normen beachten und wenn nicht, was dann? Fluch und/oder auch mal Segen?  Wie, die Norm ist kein Gesetz?  Wer macht wann, wo und wie eigentlich die ganzen Normen? Im Rahmen meiner Inspektoren-Tätigkeit bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit Normen und Standards auseinanderzusetzen und seitdem ich die IAPA im Normenausschuss vertrete, auch mit deren Entstehung. Auf den folgenden Seiten wage ich den Versuch, ein wenig Licht in den Dschungel der Normenarbeit zu bringen und für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem doch recht trockenen Thema zu werben.

Wir starten mit ein paar Zahlen

Im Dezember 1917 wurde der Normenausschuss der deutschen Industrie gegründet und am 1. März 1918 die allererste DIN Norm  DI Norm 1 (Maße und Werkstoffe für Kegelstifte) veröffentlicht. Die älteste noch aktuelle Norm ist die DIN 1289 mit einem Ausgabedatum von April 1928. Mittlerweile umfasst das deutsche Normenwerk 34.265 Normen (Stand 2018) die von ca. 400 DIN-Mitarbeiter/innen, über 2700 Mitgliedern und rund 34.500 Experten aus Wirtschaft und Forschung bearbeitet werden. Über 2.000 DIN Normen erscheinen jedes Jahr neu.

Eine Norm ist ein Dokument, das Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt und von einer anerkannten Institution angenommen wurde. In Deutschland ist dies das „Deutsche Institut für Normung e.V.“ in Berlin. Normen sollen somit Klarheit und Vergleichbarkeit schaffen, Produkte sicherer und hochwertiger machen, den freien Warenverkehr vereinfachen und den Export fördern. Sie helfen Unternehmen und Organisationen, ihre Produkte und Arbeitsabläufe aufeinander abzustimmen. Normen spielen aber auch in Gewährleistungs-, Haftungs- und Schadenersatzklagen eine bedeutende Rolle. Sie bilden eine Grundlage für Rechtssicherheit und übernehmen so die Vermittlerfunktion zwischen Wirtschaft, Recht und Technik.

Zu Beginn der Normierung wurden hauptsächlich technische Sachverhalte in Normen aufgearbeitet, in jüngster Zeit auch immer mehr  Administratives. Dies spiegelt sich in der Seilgartennorm wieder. Teil 1 beschreibt „Konstruktion und sicherheitstechnische Anforderungen, Teil 2 die Anforderungen an den Betrieb und eine DIN SPEC „Die Qualifikation von Personal mit sicherheitsrelevanten Tätigkeiten in Hochseilgärten“.

DIN, EN ISO – Alles eines und doch unterschiedlich?

Normen sind das Ergebnis nationaler (DIN), europäischer (CEN) oder internationaler Normungsorganisationen (ISO) nach festgelegten Grundsätzen, Verfahrens- und Gestaltungsregeln. Ziel der europäischen Normung ist die Vereinheitlichung aller in Europa geltenden Normen. Normen, die auf europäischer Ebene erarbeitet werden,  müssen von den nationalen Normungsorganisationen aller europäischen Länder unverändert als nationale Normen übernommen werden. Entgegenstehende nationale Normen müssen zurückgezogen werden. Auf diese Weise ist der Bestand an Normen in Europa in den letzten 30 Jahren deutlich reduziert worden. Im Zuge weiter fortschreitenden Globalisierung werden Normen mit europäischer und internationaler Reichweite immer wichtiger. Nur mehr 25 Prozent aller Normen haben ausschließlich für Deutschland Bedeutung.

DIN, EN  ISO geben demnach an, von welcher Normungsorganisation die Normungsinitiative ausging und in welcher internationalen Verbreitung sie Anwendung findet. Vielen bekannt ist die DIN EN ISO 9001. Der Inhalt der Norm ist in der Deutschen Industrie Norm auf nationaler Ebene, als Europäische Norm auf europäischer Ebene und international durch die “International Organiszation for Standardization“ umgesetzt.

Das  europäische Komitee für Normung (CEN) ist ebenso wie die Internationale Organisation für Normung, kurz ISO (von griechisch isos, gleich) die europäische bzw. internationale Vereinigung von Normungsorganisationen und erarbeitet europäische bzw. internationale Normen in allen Bereichen mit Ausnahme der Elektrotechnik und der Telekommunikation. Das in Brüssel ansässige CEN hat zur Zeit 34 Mitgliedsorganisationen (ISO 164) aus verschiedenen Ländern. Zentrale der ISO ist Geneve.

Und was ist jetzt eine DIN SPEC?

Die DIN SPEC ist eine Art Vorstufe zur nationalen DIN NORM und hat den Vorteil, dass sie schneller umgesetzt werden kann. Sie kann innerhalb weniger Monate auf den Weg gebracht werden, da sie in kleineren Arbeitsgruppen erstellt wird und keine Konsenspflicht besteht und kann so die Basis für eine spätere DIN NORM sein.

Die Normwelt, ein Buch mit sieben Siegeln?

Verbindlichkeit einer Norm? Muss, Soll, Kann eine Norm eingehalten werden?

Der DIN hat den Status eines eingetragenen Vereins und ist privatwirtschaftlich organisiert und als gemeinnützig anerkannt. Technische Normen stehen jedermann zur Anwendung frei. Das heißt, man kann sie anwenden, muss es aber nicht. Normen sind keine Gesetze, sondern Empfehlungen. Rechtsverbindlichkeit erlangen Normen, wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen auf sie verweisen. Allerdings ist es im Falle einer Haftung einfacher, korrektes Verhalten nachzuweisen, wenn sich an DIN-Normen – als anerkannte Regeln der Technik – orientiert wurde, da sie im Streitfall dennoch als Entscheidungshilfe herangezogen werden.

Die überaus komplexe Struktur und die lange Entstehungszeit einer Norm, verbunden mit der immer schnelleren Entwicklung von Produkten im freien Markt, lassen die in einer Norm dargestellten anerkannten Regeln der Technik bei deren Veröffentlichung oft schon veraltet erscheinen. DIN-Normen sind keine Lehrbücher. Sie richten sich an Fachleute. Jeder Anwender muss so viel Sachverstand haben, dass er die Verantwortung für sein Handeln selbst übernehmen kann. Doch selbst, wer bemüht ist, normative Vorgaben möglichst vollständig umzusetzen, kommt ohne intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Norm schnell an seine Grenzen.

Eine Norm ist keine Norm.

Normen sind voll von Querverweisen zu anderen Normen, die zum Verständnis der eigentlichen Norm auch gelesen und verstanden werden müssen. So wird im ersten Teil der Seilgartennorm 15567:1-2015 auf über 19 weitere Normen verwiesen, welche zur Anwendung der Seilgartennorm erforderlich sind.

Auch das Verstehen des geschriebenen Textes erfordert eine gewisse Normenerfahrung oder den Mut zur Interpretation. Zwei Beispiele aus unserem Anwendungsbereich hierzu:

Bis September 2019 wurden„Inspektionen vor Inbetriebnahme“ empfohlen, „regelmäßig wiederkehrende Inspektionen“ sollten erfolgen, jedoch muss ein aktueller, durch eine Inspektionsstelle erstellter Inspektionsbericht vorliegen, und „Änderungsinspektionen“ sollten nicht, sondern müssen durchgeführt werden.

Normativer und informativer Teil: In der Norm  DIN EN 13411-5 (Drahtseilklemmen mit U förmigem Klemmbügel) wird im rein informativen Teil über die bei uns oft diskutierten empfohlenen Anziehdrehmomente von Seilklemmen informiert. Die im normativen Teil geforderte Baumusterprüfung bei der Verwendung von Drahtseilklemmen ist selten Gegenstand von Diskussionen.

Auseinandersetzungen mit Inspektionsstellen bleiben nicht aus

Entstehung einer Norm

Einen begründeten Normungsantrag zu einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Dienstleistung kann jede/r  beim DIN stellen. Dort wird von einem Ausschuss der Bedarf an diesem Antrag überprüft. Kommt es zu einer Bearbeitung werden in einen Arbeitsgremium interessierte Kreise (Hersteller, Verbraucher, Handel, Wissenschaft, Forscher, Versicherer, usw.) für eine mögliche Mitarbeit eingeladen. Zur Zeit gibt es beim DIN rund 3.600 Arbeitsgremien, welche in 69 Normenausschüssen nach Fachgebiet organisiert sind.

Jede Organisation und jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, Experten in die Arbeitsausschüsse zu entsenden. Wobei die Teilnehmer/innen einen Kostenbeitrag für die Mitarbeit zahlen müssen. In Präsenzsitzungen oder virtuellen Sitzungen erarbeiten die Experten unter Berücksichtigung des Standes der Technik nach den Grundsätzen der Normungsarbeit (siehe Tabelle) einen Normenentwurf aus. Dieser wird als Entwurf veröffentlicht, und die Fachöffentlichkeit hat innerhalb einer Frist von zwei bis vier Monaten die Möglichkeit, Stellungsnahmen abzugeben. Zur Abgabe einer Stellungnahme gibt es zumindest online die Möglichkeit, die Normentwürfe in Teilen kostenlos einzusehen.

Wer den gesamten Entwurf einsehen will, kommt nicht umhin, ihn für teures Geld beim DIN-eigenen Beuth Verlag zu erwerben. Nach Beratung aller Stellungsnahmen kommt es zur Veröffentlichung der Norm.

Natürlich gibt es keine Norm ohne Norm.  So regelt DIN- 820 Teil 1 bis 4 die Normierungsarbeit. Die Erarbeitung internationaler Normen findet u.a. unter dem Dach des CEN nach dem Delegationsprinzip statt.

In sogenannten Spiegelgremien werden in jedem Land nationale Stellungsnahmen erarbeitet. Auf diese Weise können alle an einem Normungsthema Interessierten ihre  Meinung ohne Sprachbarrieren über die nationale Ebene einbringen. Aus den Spiegelgremien wiederum werden Experten in das europäische Arbeitsgremium entsandt. Sie vertreten dort die nationale Meinung.  Ähnlich wie auf nationaler Ebene wird auch auf internationaler Ebene eine Entwurfsfassung veröffentlicht zu der jede/r eine Stellungnahme abgeben kann. Nach Beratung der Stellungsnahmen im deutschen Spiegelgremium wird eine nationale Stellungnahme eingebracht. Wird auf internationaler Ebene der Schluss- Entwurf einer Norm angenommen, muss dieser von den nationalen Normungsorganisationen unverändert als nationale Norm übernommen werden. Abweichende nationale Normen sind zurückzuziehen.

DIN Normen werden spätestens alle fünf Jahre auf Aktualität überprüft. Entspricht die Norm nicht mehr dem Stand der Technik, so wird ihr Inhalt überarbeitet oder die Norm zurückgezogen. Die aktuelle Fassung der Seilgartennorm Teil 1 und 2 wurde im August 2015 veröffentlicht. Mit einer Überprüfung ist Ende 2020 zu rechnen. Sollte eine Aktualisierung durch Stellungsnahmen oder das Arbeitsgremium für notwendig erachtet werden, würde diese 2021 starten.

Normen und die Seilgartenbranche

Viel trockener Stoff für eine Branche, die geprägt ist von Kreativität und Ideenreichtum, eine „Machermentalität“ hat, zupacken kann, geschäftstüchtig ist und trotzdem sich immer der Verantwortung um ihre Gäste gestellt hat. Unter der Perspektive einer immer größeren Ausdifferenzierung und Spezialisierung in der Seilgartenbranche werden die Anforderungen und Ansprüche an eine Normierung weiter steigen. Diesen Anforderungen auch im Normierungsprozess gerecht zu werden, kann nur über eine breitere aktive Mitarbeit gelingen.

Freiwilligkeit

  • Die Mitarbeit an der Normung und die Anwendung von Normen sind freiwillig.

Öffentlichkeit

  • Alle Normungsvorhaben und Entwürfe zu DIN-Normen werden öffentlich bekannt gemacht und vor ihrer endgültigen Festlegung der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt. Kritiker werden an den Verhandlungstisch gebeten, wobei jeder eingegangene Einspruch, mit dem Einsprecher verhandelt werden muss.

Beteiligung aller interessierten Kreise

  • DIN-Normen werden in Arbeitsausschüssen von Fachleuten der interessierten Kreise erarbeitet. Jeder kann sein Interesse einbringen. Ein Schlichtungs- und Schiedsverfahren sichert die Rechte von Minderheiten.

Konsens

  • Die der Normungsarbeit von DIN zugrunde liegenden Regeln garantieren ein für alle interessierten Kreise faires Verfahren, dessen Kern die ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen bei der Meinungsbildung ist. Der Inhalt einer Norm wird dabei mit dem Bemühen festgelegt, eine gemeinsame Auffassung zu erreichen, die allgemeine Zustimmung findet.

Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit

  • Das Deutsche Normenwerk befasst sich mit allen technischen Disziplinen. Die Regeln der Normungsarbeit sichern seine Einheitlichkeit.

Sachbezogenheit

  • DIN-Normen sind ein Spiegelbild der Wirklichkeit. Definitionsgemäß müssen dabei technische Normen Fragen des Gemeinwohls einbeziehen und spiegeln deshalb nicht nur das technisch Machbare, sondern auch das gesellschaftlich Akzeptierte wider.

Ausrichtung am Stand der Wissenschaft und Technik

  • Die Normung vollzieht sich in dem Rahmen, den die wissenschaftliche Erkenntnis setzt. Sie sorgt für die schnelle Umsetzung neuer Erkenntnisse. DIN-Normen spiegeln den Stand der Technik wieder.

Marktrelevanz

  • Genormt wird nur, wenn Bedarf dafür besteht. Normung ist kein Selbstzweck.

Allgemeiner Nutzen

  • DIN-Normen müssen gesamtgesellschaftliche Ziele einbeziehen. Der Nutzen für alle steht über dem Vorteil Einzelner.

Internationalität

  • Die Normungsarbeit von DIN unterstützt das volkswirtschaftliche Ziel eines von technischen Hemmnissen freien Welthandels und des gemeinsamen Marktes in Europa. Das erfordert internationale und europäische Normen.

Kartellrechtliche Unbedenklichkeit

  • Aufgrund seiner Arbeitsweise sowie der Festlegungen in der Satzung und den internen Verfahrensregeln ist die Arbeit von DIN als kartellrechtlich unbedenklich anzusehen.

Akzeptanz

  • Durch die Beteiligung aller interessierten Kreise und das Konsensverfahren genießen DIN-Normen nicht nur im gewerblichen und staatlichen Bereich Akzeptanz und Vertrauen, sondern auch bei Verbrauchern.

Legitimation

  • Durch die Erweiterung der konsensbasierten Normung durch Einsprüche, Schlichtungs- und Schiedsverfahren erhält die Normung eine Legitimation und Wertschätzung, z. B. im Bereich des Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes.

Infos und Kontakt:

Thomas Gradl

Ossingerstr.2

81375 München

Tel.: 0160.99029826

E-Mail: seilgarten@thomasgradl.de

www.thomasgradl.de

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