▸ Seilkletteranlagen werden jedes Jahr von tausenden Teilnehmern besucht. Nur sehr vereinzelt kommt es zu Unfällen, die – noch weit seltener – vor Gericht landen. Nach meiner Erfahrung ereignen sich diese Verfahren häufig nach missglückten Seilrutschen-Fahrten. 

Die Teilnehmer verunfallen beim Bremsvorgang an der Anlandestation und verletzten sich durch Anprall z. B. am Sprunggelenk, Unterschenkel, Becken und/oder ziehen sich weitere Verletzungen zu. Die Klägerseite wirft dem Betreiber der Seilkletteranlagen dann vor, die Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben. Die Anlandegeschwindigkeit wird dabei regelmäßig als zu hoch eingeschätzt. Drittens wird die technische Ausführung der Seilrutsche als so mangelhaft beschrieben, dass mit dem Unfall schon im Vorfeld zu rechnen gewesen sei.

Die Betreiber der Seilkletteranlagen bestreiten die obigen Vorwürfe vehement. Sie verweisen darauf, dass die Seilrutsche von sehr vielen Teilnehmern unfallfrei befahren wurde. Meist liegt zudem eine Normkonformitätsprüfung vor, in welcher die Seilrutsche inkl. Anlandestation nicht beanstandet wurde. Da die Richter normalerweise kein spezielles Fachwissen im Bereich Wald- und Hochseilgärten haben, wird zur Klärung der Beweisfragen ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger als Helfer des Gerichts herangezogen.

Anforderungen an die Anlandestation einer Seilrutsche

Zunächst zitiere ich aus der Einleitung der DIN EN 15567-1:2015:

„Die verschiedenen Sicherheitseinrichtungen (zum Schutz vor Stürzen aus der Höhe und vor Zusammenprall) bestehen aus Vorrichtungen, welche dafür ausgelegt sind, die Folgen eines Sturzes oder eines Zusammenpralls zu begrenzen. Die Benutzung von Seilgärten ist immer mit Risiken verbunden. Diese Risiken sollten jedoch vom Betreiber des Seilgartens uns seinem Personal entsprechend gesteuert und auf ein vertretbares Maß begrenzt werden. Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass diese Risiken nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Es sollte beachtet werden, dass kein Sicherungssystem einen Schutz vor vorsätzlichem Missbrauch bereitstellen kann.“

Aus meiner Sicht ist es sehr sinnvoll, dass in der Einleitung zur einschlägigen Norm dargelegt wird, dass die Nutzung eines Seilgartens immer mit Risiken verbunden ist und sich dieses Risiko zwar reduzieren lässt, aber eben nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Die angemahnte Reduktion des Risikos „auf ein vertretbares Maß“ lässt allerdings viel Spielraum für Interpretationen. Dieser Spielraum muss von den Errichtern, Betreibern, Inspekteuren und Sachverständigen ausgelotet werden. In einigen wenigen Fällen wird dieser Spielraum auch von einem Richter vor Gericht interpretiert.

Und spezieller wird unter Punkt 4.3.4.2.4 Schutz im Landeberich der Seilrutsche gefordert:

„Es muss einen Primärbremse vorhanden sein, um die Verzögerung im Landebereich zu steuern und dadurch das Verletzungsrisiko auf ein zulässiges Maß zu mindern.

Wo der Ausfall der Primärbremse ein erstzunehmendes Risiko in Bezug auf eine ersthafte Verletzung oder den Tod darstellt, muss eine Notfallbremse vorhanden sein.“

Eine Primärbremse kann, laut Norm aktiv oder passiv arbeiten. Eine lange geneigte Anlanderampe ist zum Beispiel eine Primärbremse, auf welcher die Teilnehmer ihre Fahrt durch Mitlaufen aktiv abstoppen bzw. zumindest verlangsamen können. Falls sich ein Teilnehmer kurz von der Rampe dreht und rückwärts anlandet und deshalb nicht oder nicht ausreichend stoppen kann, braucht es – laut Norm – eine Notfallbremse, falls die Gefahr ernsthafter Verletzungen oder gar Lebensgefahr besteht. Die Notfallbremse muss automatisch arbeiten, das heißt der Teilnehmer muss auch ohne sein aktives Mitwirken an der Anlandestation abgebremst werden.

Mit welcher Geschwindigkeit landet der Teilnehmer?

Es ist wie beim Fallschirmspringer, bei dem sich der Schirm nicht öffnet. Solange der Springer fällt, stellt er fest: „Bis hierhin ist alles gut gegangen!“. Alleine auf die Landung kommt es an. Wie schnell Teilnehmer in der Mitte einer Seilrutsche fahren, ist deshalb von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist, mit welcher Geschwindigkeit sie an der Anlandestation ankommen. Da Seilrutschen immer einen Durchhang des Drahtseiles aufweisen, fährt der Teilnehmer am Ende immer (etwas) bergauf und wird deshalb per se langsamer. Die Geschwindigkeit am Beginn einer langen Anlanderampe ist deshalb wenig aussagekräftig. Entscheidend ist die exakte Geschwindigkeit an der Stelle, an welcher der Teilnehmer mit einem Teil der Anlandestation kollidier und sich verletzt. Meist ist das die Prallmatte, die am Anschlagbaum angebracht ist.

Wie kann diese Geschwindigkeit exakt gemessen werden? Ich ermittle die Anlandegeschwindigkeit bei Rutschfahrten, indem ich die Fahrten mit einer ortsfesten Kamera aufzeichne. Die Kamera ist hierbei senkrecht zur Fahrtrichtung installiert. Mit einem geeigneten Maßstab, den ich vor Ort festlege – z. B. die exakte Länge der Anlanderampe – werden im Anschluss die Einzelbilder ausgewertet und so der Geschwindigkeitsverlauf im Anlandebereich exakt errechnet werden. Dieses Verfahren ist mühsam! Die unteren Bilder zeigen exemplarisch eine Anlandung. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit vom Bild 1 zum Bild 2 beträgt 21,6 km/h. Vom Bild 4 zu Bild 5 fahre ich mit einer Geschwindigkeit von 18,3 km/h. Das bedeutet, dass ich mit knapp 18 km/h mit meinem linken Fuß auf die Matte pralle.

Bild1-2: Durchschnittsgeschwindigkeit: 21,6 km/h.
Bild 3-5: Durchschnittsgeschwindigkeit 18,3 km/h; Anprall mit knapp 18 km/h

Die einfachste Methode, um die Anlandegeschwindigkeit zu messen ist, ein GPS Gerät mitlaufen zu lassen und die Daten auszuwerten. Übliche GPS Geräte zeichnen allerdings maximal einen Datensatz pro Sekunde auf. Wer mit konstanter Geschwindigkeit fährt, dem wird sein Fortkommen mit diesen Geräten exakt angezeigt. Falls sich die Geschwindigkeit allerdings ändert, ist die Datenerfassung einmal pro Sekunde zu ungenau. Ein herkömmliches GPS Gerät ist also nicht ausreichend, um die Anlandegeschwindigkeit bei Seilrutschen genau zu messen.

Allerdings gibt es mittlerweile preisgünstige 10 Hz Logger, die zehn Datensätze pro Sekunde aufnehmen. Bei einer Geschwindigkeit von 5 m/s (= 18 km/h) erfolgt bei 10 Hz alle 0,1 Sekunden oder alle 50 cm eine Geschwindigkeitsmessung. Aber stimmt die aufgezeichnete Geschwindigkeit mit der tatsächlichen Anlandegeschwindigkeit ausreichend genau überein? Zumal die Ortsangaben bei GPS Messungen nicht auf Zentimeter oder Dezimeter exakt sind, sondern nur auf Meter genau. Wie exakt kann dann eine Geschwindigkeitsmessung sein, falls diese aus so ungenauen Ortsdaten errechnet werden?

Zum Glück beruht die Geschwindigkeitsmessung von GPS-Loggern nicht auf den Ortsmessungen! Vielmehr macht sich der GPS-Logger den Dopplereffekt zunutze und diese Art der Geschwindigkeitsmessung ist weitaus genauer.

Wie funktioniert‘ s? Die Sendefrequenz der Satelliten im Orbit ist bekannt. Bewegt sich der GPS-Logger z. B. auf einen Satelliten zu, ändert sich die empfangene Frequenz am GPS-Logger gegenüber der bekannten Sendefrequenz des Satelliten. Die aktuelle Geschwindigkeit ergibt sich dann aus der Frequenzverschiebung. Hier ein Alltagsbeispiel für den Dopplereffekt:

Am Straßenrand steht ein Krankenfahrzeug, das sein Martinshorn angeschaltet hat. Ein Autofahrer mit geöffnetem Fenster fährt auf den Krankenwagen zu. Der Fahrer hört nicht den ausgesendeten Ton des Martinhornes, sondern durch seine Fahrt auf den Krankenwagen zu, einen höheren Ton. Der Frequenzunterschied ist ein Maß dafür, wie schnell sich der Autofahrer auf den Krankenwagen zubewegt. So verhält es sich auch beim GPS-Logger: Über die Frequenzänderung im Verhältnis zur Sendefrequenz des Satelliten lässt sich dessen Geschwindigkeit exakt angeben.

Bild 1 – 5 zeigen die letzten Meter vor dem Anprall an die Anlandestation einer Seilrutsche. Das Bild 6 zeigt die gesamte Aufzeichnung dieser Seilrutschenfahrt mit einem 10 Hz GPS-Logger. Am Ende der Aufzeichnung ist zu sehen, dass die Aufzeichnungskurve steil abfällt. Dies ist der Augenblick, bei dem ich gegen die Prallmatte der Anlandestation pralle. Die aufgezeichnete Anprallgeschwindigkeit im Diagramm 6 korrespondiert sehr gut mit den Auswertungen der Filmauswertung (Bild 1 – 5).

Bild 6: 10 Hz GPS Geschwindigkeitsprofil mit Anprallgeschwindigkeit

Die Übereinstimmung der GPS-Aufzeichnung und der Filmauswertung ist – nach meiner Erfahrung – leider nicht immer so eindeutig. Häufig ist der Empfang in Waldseilgärten aufgrund der Bäume nicht ideal und die Interpretation der aufgezeichneten Kurve ist zudem schwierig. Falls die Anlandegeschwindigkeit z. B. für Gerichtsverhandlungen genau gemessen werden muss, entscheide ich mich nach wie vor für die umständliche, aber genaue filmische Auswertung. Für Waldseilgartenbetreiber, Erbauer und Inspekteure, welche die Anlandegeschwindigkeit von Seilrutschen ohne großen Aufwand ermitteln und dokumentieren wollen, können die Routine-Aufzeichnungen von 10 Hz GPS-Logger hingegen hilfreich sein.

Welche Anlandegeschwindigkeit ist angemessen?

In der einschlägigen Norm ist kein Wert für die Anlandegeschwindigkeit genannt. Ist eine Anlandegeschwindigkeit von 5 km/h akzeptabel? Oder sind 20 km/h okay? Was bedeutet es für den Teilnehmer, falls er mit 25 km/h gegen eine gut dämpfende Prallmatte fährt? Diese Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten. Mit etwas gedanklicher Übertragungsarbeit sind Antworten aber durchaus möglich.

Heutzutage bewegen sich Menschen häufig sehr schnell. Vor 10.000 Jahren war die maximale Geschwindigkeit eines Menschen während seines gesamten Lebens auf ca. 30 km/h beschränkt. Diese maximale Geschwindigkeit erreichte er beim Wegrennen vor dem Tiger, der ihn fressen wollte. Wir bewegen uns heute zu Fuß mit Schrittgeschwindigkeit oder mit 30 km/h auf den Rad, mit 45 km/h auf den Skiern, mit 130 km/h auf der Autobahn oder gar mit 850 km/h im Flugzeug. Geschwindigkeiten von  20 km/h – z. B. als Anladegeschwindigkeit einer Seilrutsche – erscheinen uns daher zunächst als harmlos. Um die Wirkung von (geringen) Geschwindigkeiten auf einen menschlichen Körper beim Anprall zu verdeutlichen, rechne ich regelmäßig die Anprallgeschwindigkeit in Sturzhöhe um. Was geschieht mit einem Teilnehmer, falls er mit einer Geschwindigkeit von 36 km/h am Ende einer Seilrutsche gegen einen Baum prallt, der mit einer sehr guten Prallmatte ummantelt ist? Bleibt er unverletzt? Erfährt er lediglich Prellungen oder gar Knochenbrüche? Besteht Gefahr für Leib und Leben? Eine Geschwindigkeit von 36 km/h mag uns im ersten Moment beim Anprall gegen eine gut dämpfende Prallmatte akzeptabel erscheinen, bis wir diese Anprallgeschwindigkeit in Sturzhöhe umrechnen. Stürzt ein Mensch aus der Ruhe über eine Fallhöhe von 5 m, erreicht er exakt eine Geschwindigkeit von 36 km/h (~ 10 m/s). Stellen wir uns also vor, dass wir auf einem 5 m Sprungturm stehen und blicken wir ins Schwimmbecken. Leider ist kein Wasser im Becken, sondern quer über dem Becken liegt ein mächtiger Baumstamm, der mit einer 15 cm dicken Prallmatte umwickelt ist. Auch falls uns erläutert wird, dass diese Prallmatte von exzellenter Qualität ist, wäre für jeden unmittelbar klar, dass bei Sprüngen aus dieser Höhe in der Regel mit schweren oder gar schwersten Verletzungen beim Anprall am Baumstamm zu rechnen ist.

Bei der Umrechnung von Geschwindigkeit in Sturzhöhe ist zu beachten, dass sich die Sturzenergie proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit verhält.

Ein Mensch, der über eine Distanz von 1,25 Metern fällt, erreicht 18 km/h (~ 5 m/s). Nach 5 m fällt er 36 km/h (~10 m/s) schnell. Und erst nach 20 m Fallhöhe werden 72 km/ h (~ 20 m/s) erreicht. Eine Verdopplung der Geschwindigkeit hat einen Anstieg der kinetischen Energie um den Faktor 4 zur Folge.

Um Anlandegeschwindigekeiten bei Seilrutschen und deren Auswirkung auf die Teilnehmer abschätzen zu können, gebe ich Beispielpaare zwischen Geschwindigkeit und Sturzhöhe für geringe Geschwindigkeiten an:

Fällt ein Mensch aus einem Bett (Höhe ca. 40 cm) erreicht er eine Geschwindigkeit von 10 km/h.

Liegt ein Mensch auf einem Tisch (Höhe ca. 77 cm) und rollt herunter, fällt er mit 14 km/h auf den Boden.

Bei einer Sturzhöhe von 1 m (ca. Hüfthöhe) ergibt sich eine Geschwindigkeit von 16 km/h.

Stürzt eine Person aus der Höhe eines normalen Türblattes (Höhe knapp 2 m) fällt er am Ende 22 km/h schnell.

Aus den obigen Fallhöhe-Geschwindigkeitspaarungen ist ersichtlich, dass der Unterschied einer Anlandegschwindigkeit von 6 km/h (~ 0,14 m) zu 16 km/h (~ 1,00 m) schon erheblich ist. Der Unterschied von 16 km/h zu 26 km/h (~ 2,65 m) ist jedoch nicht nur erheblich, sondern entscheidend! Jedem ist sofort klar, dass es einen sehr großen Unterschied bedeutet, ob ein Mensch aus einer Höhe von 1 m oder aus einer Höhe von  2,65 m stürzt.

Prallmatten sind in Abhängigkeit von der Anprallgeschwindigkeit sehr sinnvoll, allerdings kein Allheilmittel. Mit einer Prallmatte lässt sich für hohe Geschwindigkeiten eventuell das Schlimmste verhindern, allerdings kann von einem wirksamen Schutz der Teilnehmer gegen Verletzungen nicht mehr gesprochen werden.

Aus meiner Sicht muss deshalb der Anprallschutz in Abstimmung mit der Anprallgeschwindigkeit gewählt und ausgeführt werden. Hohe bzw. sehr hohe Anprallgeschwindigkeiten sind konsequent zu vermeiden – Anprallschutz hin oder her! Zudem ist wichtig, nicht vom Anlanden eines jungen und sportlichen Seilrutschers auszugehen, sondern davon, dass Seilrutscher auch älter und unsportlich sein können und nicht in optimaler Position landen. Sie landen rückwärts oder seitwärts und fangen sich nicht mit beiden Beinen ab, sondern landen auch mal mit einem (gestreckten) Bein voraus. Auch für diese Fälle sollte – aus meiner Sicht – die Anlandegeschwindigkeit und der Anprallschutz soweit abgestimmt sein, dass eine wirksame Reduktion der Unfallgefahr erreicht wird.

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